Lieber Amos,

als unser Schöpfer Dich vor vielen Jahren in Deiner Mutter Leib gebildet und gestaltet hat, bist Du auf eine erstaunliche Weise gemacht worden.

Deine Gestalt war ihm nicht verborgen.

Und in sein Buch waren alle Tage Deines Lebens eingeschrieben, die Tage, die gebildet wurden, als noch keiner von ihnen da war.

Menschen gaben Deinem Leben keine Chance. Sie nannten es behindertes Leben.

Das Leben lässt sich aber nicht behindern.

Du hast Dich für das Leben entschieden.

Und Deine Eltern haben sich für Dich entschieden.

 

Ja, Deine Möglichkeiten waren sichtbar begrenzt.

Doch nur Menschen sehen auf das Sichtbare. Das Wesentliche ist jedoch unsichtbar.

Die Welt Gottes ist unsichtbar und dort entspringt das Leben.

 

Du konntest nicht sprechen. Doch Du hattest viel zu sagen.

Dafür brauchtest Du keine Worte.

Und es gab Menschen in Deinem Leben – vor allem Deine Eltern – sie hörten Dir sehr aufmerksam zu.

Man hat Dir eine Brille verpasst, damit Du etwas leichter in diese Welt hinein schauen kannst.

Doch das Eigentliche, was Du gesehen hast, ist unseren Augen verborgen gewesen. Du hast mit Deinem Herzen gesehen.

Du konntest niemanden anfassen. Und doch hast Du sehr tief berührt. Die, welche sich von Dir berühren ließen, konnten in Dir den Schatz entdecken, der zur Verherrlichung Gottes auf diese Welt kam.

Du konntest nichts tun, nichts leisten – doch hast Du Herzen bewegt. Vor allem Herzen Deiner Eltern und Deiner Geschwister.

Die Liebe und Hingabe, die Du herausgefordert hast, sind das eigentliche Wunder Deines Lebens.

Und auch Du hast sie geliebt.

Warum sonst solltest Du so beharrlich wiederholt um Dein Leben gekämpft haben? Es hat Dir gefallen in Deiner Familie, Du wolltest, solange es möglich war, bleiben. Du warst ein Kämpfer für das Leben.

Und Du hattest Humor.

Wer Dich sah, konnte nicht unbeteiligt bleiben. Doch sicher war hier auch viel Unsicherheit und Unbeholfenheit angesiedelt, denn nur wenige konnten Deine Sprache verstehen.

Vergib uns, wo wir zu wenig geliebt haben.

Nun bist Du auf die andere Seite gegangen.

Der Vorhang ist gefallen und Du bist zu Deinem Schöpfer zurückgekehrt.

Du bist sein geliebtes Kind und ganz sicher haben seine Arme schon auf Dich gewartet.

Nun bist Du nicht mehr begrenzt, Du kannst frei atmen und Dich frei bewegen.

Doch Deine Eltern und Geschwister, und auch wir, Deine Sippe, müssen Dich loslassen. Das ist schwer!

Du warst ein Junge mit besonderen Bedürfnissen. Du warst ein besonderer Junge, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur, sondern ein Gedanke Gottes mit einem Auftrag in dieser Welt.

 

Danke, dass Du uns etwas sehr wichtiges gelehrt hast:

Dass das Sein mehr ist als das Tun.

Dass nur Liebe und Hingabe zählen, und die können wir nicht machen, das ist die Frucht des Geistes Gottes, eine Gnade, auf die es ankommt.

 

Auf Wiedersehen, Amos!

Auf Wiedersehen in Deinem Himmel, in meinem Himmel, in unserem Himmel. Bei unserem Herrn.

Bis dahin.

Auf Wiedersehen!